Leipziger Volkszeitung vom 05. Juni 2008
„Das ist hoch gefährlich“

Ex-bfb-Chef Matthias von Hermanni ist als Zeuge vor Gericht – und greift Staatsanwälte an.

Im Amtsgericht waren gestern schwerwiegende Vorwürfe gegen sächsische Staatsanwälte und ein ehemaliges Mitglied der sächsischen Staatsregierung zu hören. Denn es wurde ein Strafverfahren verhandelt, in dessen Mittelpunkt der zerschlagene Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb) steht – und Amtsrichterin Ingrid Kunth hatte den Ex-bfb-Chef Matthias von Hermanni in den Zeugenstand gebeten. Er sollte aufklären helfen, ob seine ehemalige Mitarbeiterin Kerstin W. (48) beim Regierungspräsidium Fördermittel aus dem Europäischen Sozialfonds beantragt hat, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Der bfb hat die 754 000 Mark, um die es damals ging, allerdings schon vor Jahren zurückgezahlt. Doch Staatsanwältin Silke Kühlborn ist der Auffassung, dass Kerstin W. wusste, dass der bfb keinen Anspruch auf die Mittel hatte.
Von Hermanni erklärte im Zeugenstand, die Staatsanwaltschaft „kriminalisiere“ Kerstin W. nur, weil die Ermittler bislang bei der Aufklärung der Vorfälle um den bfb völlig versagt haben. Diese wollten nur auf Kosten der ehemaligen bfb-Mitarbeiterin einen Erfolg verbuchen, damit ihr Scheitern nicht zu offensichtlich ist. In Wahrheit seien die Ermittler überhaupt nicht an einer Aufklärung interessiert. Dies zeige auch eine Anzeige von ehemaligen bfb-Mitarbeitern, die eine Umbuchung von zwei Millionen Mark betreffe, die Hermannis Nachfolger um mehrere Jahre in der Bilanz verschoben hätten. „Das ist Bilanzfälschung – aber Frau Kühlborn ist bewusst diesen Dingen nicht nachgegangen“, so der ehemalige bfb-Chef.
Von Hermanni sagte auch, das Scheitern des bfb sei einer politischen Intrige geschuldet. Der ehemalige Sprecher des CDU-Justizausschusses des sächsischen Landtages, Volker Schimpff, und der inzwischen verstorbene sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) hätten im Dezember 1999 zusammengesessen und wenige Tage später sei eine Prüfgruppe aus dem Ministerium im bfb aufgeschlagen. Schommer habe nicht gepasst, dass der bfb angeblich der Privatwirtschaft Aufträge wegnahm. Von Hermanni: „Beim Verhalten der Leipziger Staatsanwaltschaft ist es unerheblich, ob dies aus vorauseilendem Gehorsam, aufgrund politischer Anweisung oder persönlicher Unfähigkeit geschehen ist.“ Der politischen Einflussnahme sei auch die Tiefenprüfung geschuldet gewesen, die jetzt Kerstin W. angelastet wird. Die Vorgänge seien „völlig dokumentiert“ gewesen. „Diese Unterlagen sind nachträglich in den Papierkorb gelangt“, so von Hermanni. Wer diese Vorgänge untersuche, werde Erstaunliches entdecken. „Das ist hoch gefährlich“, so der Ex-bfb-Chef.
„Wir können das alles nicht ausdiskutieren“, befand Amtsrichterin Kunth. „Dies alles entzieht sich meiner Kenntnis.“ Sie habe nur den Freispruch des Bundesgerichtshofes studiert, den Hermanni nach jahrelangem Kampf mit der Staatsanwaltschaft Leipzig errungen hatte (die LVZ berichtete). „Auch die Schöffen hören das hier zum ersten Mal.“
Staatsanwältin Kühlborn reagierte auf die Angriffe mit einer Erklärung. Das Gericht dürfe nicht einem „völlig falschen Eindruck“ erliegen, sagte sie. Bei der des Betruges angeklagten Kerstin W. gehe es um „bestimmte Abrechnungspositionen“, die zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt gewesen seien.
Die Vernehmung von Zeugen, die kurz nach von Hermannis Ausscheiden aus dem bfb die Tiefenprüfung in der Buchhaltung des bfb vorgenommen hatten, ergab viele Ungereimtheiten. Auf Nachfragen wurde deutlich, dass es sich bei der Kontrolle um keine gewöhnliche Stichprobe handelte, sondern die Prüfer dazu Anweisungen von Vorgesetzten bekamen. Auch von Kontakten mit dem Landeskriminalamt wurde berichtet.
Außerdem tauchte Schriftwechsel auf, mit dem die Prüfer damals vom bfb auf die Akten hingewiesen wurden, die die beanstandeten Dinge aufklären konnten. Doch diese Akten wurden nie angefordert – trotzdem wurde dem bfb die falsche Verwendung von Fördermitteln des Europäischen Sozialfonds attestiert. Die Zeugenvernehmung wird am 3. Juli fortgesetzt – unter anderem mit der Zeugenvernehmung des ehemaligen Übergangs-Betriebsleiters und heutigen LVB-Hauptgeschäftsführers Wilhelm Georg Hanss. Ein Urteil soll am 14. Juli verkündet werden. 

Andreas Tappert