Stuttgarter Zeitung vom 29. Mai 2007
Eine kriminelle Vereinigung in der sächsischen Justiz?

Die Korruptionsaffäre im ostdeutschen Freistaat weitet sich aus - Ein einst Verfolgter sieht seinen Fall jetzt in neuem Licht
 
Die Korruptionsaffäre in Sachsen weitet sich aus. Jetzt liegen dem sächsischen Generalstaatsanwalt erste Geheimdossiers des Verfassungsschutzes vor, in denen hohe Politiker, Richter und Polizeibeamte belastet werden.

Von Harald Lachmann, Leipzig

Matthias von Hermanni hatte ein Déjà-vu-Erlebnis, als in der sächsischen Korruptionsaffäre, in die Spitzenleute aus Justiz, Politik, Immobilienhandel und Rotlichtmilieu verstrickt sein sollen, ein erster Name bekannt wurde: Sachsens Generalstaatsanwalt ermittelt gegen den Präsidenten des Amtsgerichts Chemnitz, Norbert Röger. Bei diesem Namen schrillen bei Hermanni alle Alarmsignale. Zu schmerzhaft hat er ihn in Erinnerung, seit dieser noch leitender Oberstaatsanwalt in Leipzig war. Selbst sein Haus hatte der dreifache Familienvater Hermanni verkaufen müssen, weil er anders nicht die Prozesskosten aufgebracht hätte, nachdem ihn das Landgericht Leipzig wegen Betrugs verurteilt hatte. Der Richter, der das Urteil fällte, stieg während des Hauptverfahrens zum Kammerpräsidenten auf.

Doch als Kopf jener "kriminellen Vereinigung", wie Hermanni heute das Leipziger Justizgeflecht in den späten 1990er-Jahren nennt, sieht er jenen Oberstaatsanwalt. Der gab sich offenherzig gegenüber den Medien, versuchte die öffentliche Meinung gegen Hermanni zu beeinflussen, versorgte die Zeitungen mit Gerichtsinterna und selbst der Anklageschrift, die bis dato nicht einmal die Verteidigung kannte. Hermanni testete das seinerzeit selbst. Er rief mit verstellter Stimme bei jenem Oberstaatsanwalt an, meldete sich als ein "Reporter Becker von ,Spiegel TV"" und bekam prompt gesteckt, was man ihm als Angeklagten vorenthielt.

Matthias von Hermanni, ein Kommunalmanager mit CDU-Parteibuch, der nach der Einheit von Hannover kam, wurde in Leipzig bald ein erfolgreicher Firmenchef. Er baute einen Kommunalbetrieb mit bis zu 8000 Mitarbeitern auf. Das waren zumeist Langzeitarbeitslose oder Sozialhilfeempfänger, die er mit moralischer Hingabe, politischer Hemdsärmeligkeit sowie einer erstaunlichen Findigkeit beim Aufstöbern rechtlicher Grauzonen zumindest monatsweise wieder ins Arbeitsleben zurückbrachte. Zumeist suchte er für sie Jobs in der Landschaftspflege oder bei Kleinreparaturen an Schulen, für die es Mittel aus Bundessozialtöpfen gab. Handwerksfirmen hätten diese Gelder weder beanspruchen können noch für jene Sätze gearbeitet. Dennoch entstand so um 1997 ein opulenter zweiter Arbeitsmarkt, der der städtischen Unternehmerlobby und einflussreichen Rathauspolitikern missfiel. Bald forderte man auch öffentlich, diesen Auffangbetrieb für sozial Gestrauchelte zu zerschlagen. Doch solange hier das Schwergewicht Hermanni saß, schien das aussichtslos. Also musste er weg.

Doch da sich legal nichts fand, fanden sich plötzlich ominöse Komplizen, die behaupteten, der Betriebsleiter habe städtische Technik beim Bau seines Privathauses zweckentfremdet und verschachert. Da gab es Zeugen, die man bei Verhören mit Strafandrohung gefügig gemacht hatte, wie sie später erzählten. Und da gab es jenen Oberstaatsanwalt Röger, der Hermanni vier Wochen in U-Haft steckte - wegen Verdunklungsgefahr. Später sollte das Oberlandesgericht Dresden feststellen, dass auch dies "konstruiert" war.

Erst der Bundesgerichtshof zerpflückte das Urteil. Hermanni ist heute rehabilitiert, zugleich aber noch verschuldet. So ist der Fall für ihn auch noch nicht erledigt. Er stellte Strafanzeige gegen die Staatsanwaltschaft, denn er ist sicher: "Weil mein Betrieb der Wirtschaft und der Politik ein Dorn im Auge war, ließ diese sich politisch instrumentalisieren." Er spricht von Rechtsbrüchen in der Ermittlungsbehörde. So verschwanden entlastende Akten, während ihn belastende Straftaten geradezu inszeniert worden seien.

Das Kardinalproblem sieht Hermanni jedoch in der sächsischen Justizstruktur. Wie in keinem Bundesland wechsle hier das Personal zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaften. "Dadurch kennt jeder jeden. Man hat so kein klares Rollenbild, ist vielmehr auf die eigene Karriere bedacht", meint er. So habe etwa in seinem Prozess am Landgericht Leipzig eine "Richterin auf Probe" das Urteil geschrieben, die damals zugleich noch Mitarbeiterin der Anklagebehörde war.

Untersuchungen der Dresdener Landesverfassungsschützer ergaben Erschreckendes: Demnach gab es direkte Kontakte zwischen dem berüchtigten Ndrangheta-Clan aus Kalabrien und Mitarbeitern des Leipziger Rathauses. Dem Vernehmen nach ging es hierbei seit zehn Jahren um Drogenhandel, Geldwäsche sowie illegale Immobiliengeschäfte. Leipzig ist neben Chemnitz und Plauen offenbar das Zentrum jenes nun öffentlich gewordenen Korruptionssumpfs in Sachsen. Den hatte der Verfassungsschutz zwar über Jahre beobachtet, die Ergebnisse aber für sich behalten. Erst vor wenigen Tagen übergab er ein erstes 40-seitiges Dossier mit bisher geheimen Informationen an die Generalstaatsanwaltschaft. Es beinhaltet konkrete Hinweise auf kriminelle Netzwerke, in die hohe Politiker, Justiz- und Polizeibeamte verstrickt sein sollen. Die Vorwürfe reichen von Mord über Korruption und Amtsmissbrauch bis zu Kinderprostitution.

Dem Frankfurter Publizisten Jürgen Roth zufolge, der als Experte für organisierte Kriminalität gilt, findet sich in jenem Dossier auch ein Vermerk über regelmäßige Sexpartys von Leipziger Rathauspolitikern mit Minderjährigen.