Leipziger Volkszeitung vom 04. Februar 2005

"Die Strafkammer hat nicht besonders gut gerechnet"

Die Szene bewegt: Nach der Urteilsverkündung fällt Matthias von Hermanni eine ehemalige Mitarbeiterin des von ihm einst geleiteten Betriebs für Beschäftigungsförderung (bfb) in die Arme und schluchzt vor Erleichterung. Dem gewichtige Mann, sonst eher polternd und aufbrausend, stehen ebenfalls die Tränen im Gesicht. "Ich freue mich, bin überwältigt", sagt er mit zitternder Stimme in ein Rundfunk-Mikrofon. Bevor er den Gerichtssaal verlässt, unterdrückt er jedoch die Emotionen und kündigt an, in Kürze "Näheres zu seinem Fall" sagen zu wollen. "Das dürfte alle die interessieren, die mich dorthin gebracht haben, wo ich heute bin." (Lesen Sie dazu auch den Beitrag "Drei Fragen".)

Zuvor hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil gegen den früheren bfb-Chef aufgehoben. Der 5. Strafsenat sprach Hermanni in vier Fällen vom Vorwurf der Untreue frei und verwies zwei weitere Fälle zur Überprüfung zurück an das Landgericht Chemnitz. Der Vorsitzende Richter Clemens Basdorf empfahl, angesichts der gravierenden Reduzierung des Schuldvorwurfs das Verfahren einzustellen.

Das Landgericht Leipzig habe Verträge über die Anmietung und den anschließenden Kauf von Baumaschinen falsch bewertet, so Basdorf zur Urteilsbegründung. Zwischen dem bfb und dem beteiligten Bauunternehmer aus Hannover sei verabredet gewesen, die Mietzahlungen für die Maschinen auf den späteren Kaufpreis anzurechnen. Die Wirtschaftsstrafkammer hätte deshalb nur die Gesamtsumme und nicht die überhöhten einzelnen Monatsmieten für die Baumaschinen zur Schadensermittlung heranziehen dürfen.

Nur mühsam konnte Basdorf seine Verwunderung über das vom Landgericht Leipzig gefällte Urteil aus dem Jahr 2002 unterdrücken. "Hier wurde falsch bewertet" oder "Das Urteil schweigt sich aus" waren noch humane Bemerkungen gegen diesen Satz: "Die Strafkammer hat nicht besonders gut gerechnet." Die Senatsrichter hatten offenbar selbst den Taschenrechner zur Hand genommen. Im Fall einer Siebanlage, die Hermanni von dem Hannoveraner Unternehmer für den damaligen ABM-Stützpunkt (später bfb) gemietet hatte, war die Strafkammer von einer Schadenssumme in Höhe von 20.000 DM ausgegangen. "Nach unserer Rechnung wurde die Anlage um 50.000 DM billiger erworben", so Basdorf.
In einem weiteren Fall ging es ebenfalls um eine laut Landgericht überteuert erworbene Baumaschine. Der BGH fand es "recht originell", dass fünf Jahre nach Erwerb ein Sachverständiger beauftragt wurde, Vergleichsangebote zu ermitteln. Eines davon, so der BGH-Richter, lag deutlich über dem Kaufpreis, vier waren billiger. Das Gericht zog das drittbilligste Angebot zu Rate und verwarf den Rest, womit es eindeutig gegen den Rechtsgrundsatz "In dubio pro reo" (Im Zweifel für den Angeklagten") verstoßen habe.

"In den übrigen zwei Fällen möglicherweise überteuert erworbener Maschinen wurde der Vorsatz des Angeklagten unzulänglich begründet", stellte der Senat weiter fest. Aber auch hier registrierten die Richter nach Bemühen des Taschenrechners einen um ein Drittel verminderten Schaden, als ihn das Leipziger Landgerichtsurteil ausweist. Chemnitz werde darüber neu befinden.

Noch nie habe er von einer derartigen Schelte gegen Gericht und Staatsanwalt gehört, meinte Hermannis Anwalt Andreas Meschkat. Der BGH erließ zudem eine Verfahrensrüge gegen den damaligen Staatsanwalt Thomas Gast. Seine Zeugenaussage vor dem Landgericht und deren anschließende Bewertung im eigenen Plädoyer seien ein klarer Verstoß gegen die Prozessordnung.

Auf einen Punkt habe das aber keine Auswirkung, so Richter Basdorf: Die Nutzung eines Dienst-Lkw für den privaten Transport von Steinen. Hermanni habe die Stadt damit um rund 60 Euro geschädigt. Dieses Urteil des Landgerichts Leipzig bleibe bestehen, sagte Basdorf. Er empfahl aber dennoch eine neue Bewertung durch die Chemnitzer Richter.
Hermanni war im Dezember 2002 wegen Untreue in sieben Fällen zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe von 40.000 Euro verurteilt worden. Das Verfahren war eines der längsten im Freistaat und zog sich über rund 14 Monate hin.

Andreas Dunte