Leipziger Volkszeitung vom 06. März 2002



Wende im Prozess gegen Ex-bfb-Chef steht kurz bevor

Leipziger Gericht prüft Aufhebung des Haftbefehls

Leipzig. Die Wende im Prozess gegen Matthias von Hermanni steht offenbar bevor. Das Gericht will jetzt prüfen, ob es den Haftbefehl aufhebt. Dies kündigte der Vorsitzende Richter Karsten Nickel gestern am 19. Verhandlungstag an. Der Haftbefehl besteht seit zwei Jahren und wurde gegen Kaution außer Kraft gesetzt.


Prozessbeobachter rechnen fest mit einer Aufhebung, da auch die seit langem erwartete gestrige Stellungnahme der Anklage nichts substanziell Neues brachte. Staatsanwalt Thomas Gast würdigte nicht einmal die bisherige Zeugenvernehmung in dem Maße, wie das erwartet worden war, sondern erging sich vorwiegend in zivilrechtlichen Erörterungen.


Laut Anklage hat der Ex-Chef des Leipziger Betriebs für Beschäftigungsförderung (bfb) durch Betrug und Täuschung einen Schaden in Höhe von rund einer Million Euro verursacht. Bislang vernommene Zeugen hatten jedoch stets erklärt, dass kein Schaden entstanden sei und sie auch nicht getäuscht worden seien. Im Gegenteil, die Abrisstätigkeit des bfb auf städtischen Gewerbeflächen habe zu einem gewaltigen Gewinn geführt, hieß es in Zeugenaussagen.


Im Detail geht es vorwiegend um zwei Brecher für Beton und Ziegel, die der bfb erst mietete und dann kaufte. In Absprache mit den Auftraggebern wurden die Mietrechnungen gestreckt, um im Budget zu bleiben. So wurde für die Brecher auch gezahlt, obwohl sie noch gar nicht im Einsatz waren. Genau da wittert die Staatsanwaltschaft den Betrug. "Bislang ist es ihr aber nicht gelungen, unter den Zeugen einen zu finden, der von der Absprache nichts gewusst haben will", sagte Hermannis Anwalt Andreas Meschkat.


Für den angeklagten Ex-Chef des einst größten Betriebes, der nach der Wende mit in der Spitze über 8000 Mitarbeitern (vor allem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ABM) entstanden ist, sei "das Ganze nur eine politische Farce, eine Fantasie-Anklage", sagte er gestern gegenüber unserer Zeitung. "Das Problem der Staatsanwaltschaft ist, dass ich ihr und ihren Machenschaften auf die Schliche gekommen bin", verkündete er in einer Mischung aus Wut, Rache und Selbstinszenierung und verwies auf eine Reihe eigener Ermittlungsakten, die den Schriftzug "Columbo" tragen. Anders als der eher etwas zurückhaltende und schusselig wirkende Fernseh-Kommissar wurde Hermanni direkt:Stück für Stück hebele er jetzt das "wackelige Anklagegerüst" aus. Die Sache mit den Brechern sei vorgeschoben. Ebenso die vermeintliche Mauschelei mit einem Geschäftspartner, der wie Hermanni aus Hannover stammt. "In Wirklichkeit sollte ich stürzen, damit der bfb abgewickelt werden kann", so Hermanni.


Die bisherige Entwicklung habe ihm Recht gegeben:Laut Beschluss des Stadtrates (wir berichteten) wird es im Betrieb keine ABM mehr geben, nur noch 850 Sozialhilfeempfänger. Das Vermögen wird veräußert.


Interessant ist, dass Hermanni gestern gegenüber der Staatsanwaltschaft erneut in direkter Weise auftrat und ihr Unterdrückung von Beweismitteln, illegale Ermittlungstätigkeit und sogar die Täuschung des Gerichtes vorwarf. In keiner Weise wurde er dafür gerügt.


Andreas Dunte