Leipziger Volkszeitung vom 27. / 28. November 1999


Hermanni-Anwalt "betrübt" über fehlende Akte

Ermittlungen gegen bfb-Chef ausgeweitet Leipzig. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat die Ermittlungen gegen Matthias von Hermanni ausgeweitet. Nach Informationen unserer Zeitung wurde Volker Weiske, Inhaber eines Elektrohandwerksbetriebes, aufgefordert, alle Rechnungen zusammenzustellen, die er für die Arbeiten an Hermannis Privathaus in Hohenroda (Landkreis Delitzsch) gestellt hatte. Dem Leiter des städtischen Betriebes für Beschäftigungsförderung (bfb) werden Betrug und Untreue vorgeworfen (wir berichteten). Der bfb soll an einen Firmen-Chef Geld für nicht erbrachte Leistungen gezahlt haben.

Im Gegenzug habe dieser Unternehmer bei Hermannis Hausbau Arbeiten nicht in Rechnung gestellt. Der bfb-Chef bestreitet die Vorwürfe. Weiske bestätigte gegenüber unserer Zeitung die Anfrage des Landeskriminalamtes. Die Behörde habe sich bei ihm telefonisch gemeldet. Nach seiner Aussage handelt es sich um Rechnungen der Jahre 1996 bis 1999. Die bisherigen Vorwürfe gegen Hermanni stammen aber aus der Zeit davor.

Sein Anwalt, Joachim Luttermann, sprach deshalb gestern irritiert von "ausufernder Fahndung".

Auch Frank Lippmann, bfb-Personalratschef, wunderte sich, dass die Ermittler jetzt nach Rechnungen suchen, die zeitlich nichts mit dem Fall zu tun hätten. Lippmann: "Wir haben immer mehr das Gefühl, da will jemand die Leitung des bfb auseinanderpflücken." Hintergrund: Weiskes Frau Kerstin ist in der bfb-Führungsebene tätig. Der Leitende Staatsanwalt Gunter Spitz bestätigte gegenüber unserer Zeitung, dass zu weiteren Vorgängen ermittelt werde. Unter anderem würden auch haushaltsrechtliche Belange geprüft. Vor allem werde nachgegangen, ob der bfb städtische Aufträge erhalten habe, die hätten ausgeschrieben werden müssen.

Spitz wollte darauf nicht näher eingehen.
Nicht äußern wollte er sich zu einer abhanden gekommenen Ermittlungsakte. Dazu "kann ich nichts sagen", so Spitz. Dieser Bauordner mit der Nummer 8 wurde nach unserer Zeitung vorliegend Durchgangsprotokoll vom Landeskriminalamt im Juni bei Hermanni beschlagnahmt und ist inzwischen anscheinend unauffindlich. "Das ist sehr berüblich", kommentiert Luttermann. Die Staatsanwaltschaft soll, wie zu hören war, ein internes Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt haben.
Dass beschlagnahmte Akten nicht mehr auffindbar sind, ist offenbar kein Einzelfall.

Der Kölner Anwalt Reiner Wollny, der im Zusammenhang mit Flughafen-Grundstücken mit dem Freistaat Sachsen juristisch über Kreuz liegt, beklagt gestern gegenüber unserer Zeitung, dass auch in den von ihm vertretenen Fällen Akten "offenbar bei Ermittlungsbehörden weggekommen" seien.
Keine Entscheidung fiel gestern über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Ermittler sind nicht einverstanden, dass der Haftbefehl gegen Hermanni (Flucht- und Verdunklungsgefahr) gegen Auflagen außer Kraft gesetzt wurde. Der bfb-Personalratschef Lippmann stellte sich dabei hinter seinen suspendierten Chef. Flucht und Verdunklungsgefahr bestehe nicht, so Lippmann. Sollte dieser Vorwurf dennoch aufrecht erhalten bleiben, bieten sich die Hermanni-Mitarbeiter "quasi als Kaution oder Gewährleistung" an: Sie seien im Zweifelsfall bereit, "jeder allein und auch alle gemeinsam eine Haft anzutreten".

Ulrich Milde und Andreas Dunte