Leipziger Volkszeitung vom 23. Mai 2006

Neue Impulse für Arbeitsmarkt

Leipzig braucht dringend neue Beschäftigungsimpulse. Einer der wenigen, denen so ein Kraftakt derzeit zugetraut wird, ist der ehemalige bfb-Chef Matthias von Hermanni. Er ist inzwischen rehabilitiert, und Dokumente belegen, dass er durch die Beschäftigung von Arbeitslosen Millionenwerte für die Stadt erwirtschaftet hat. Doch im Rat rennt er gegen Windmühlenflügel an.

Matthias von Hermanni polarisiert die Leipziger derzeit wie kaum ein anderer: Nachdem bekannt wurde, dass er für den Posten des Sozial-Beigeordneten kandidiert, wird über einen Neuanfang in der Arbeitsmarktpolitik diskutiert. „Es ist besser, Langzeitsarbeitslose zu beschäftigen, als sie fürs Nichtstun zu bezahlen“, lautet sein Credo. Schaffen will er das mit einer Stiftung für kommunale Beschäftigung. Seine Idee: Mit der Übereignung öffentlicher Gebäude und Anlagen an die Stiftung könnten Langzeitarbeitslose mit der Sanierung und Instandhaltung des Stiftungseigentums beauftragt werden – und die Kommune kann damit eine finanzielle Entlastung erreichen.
Dass es möglich ist, mit Hilfe von Langzeitarbeitslosen die Stadtkasse zu entlasten und Werte zu schaffen, hat von Hermanni bereits mit dem ehemaligen Leipziger Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb) bewiesen. Interne Untersuchungen belegen, dass der bfb in den Jahren 1995 bis 1997 das Vermögen der Stadt beträchtlich vermehrt hat. Durch eine ausgefeilte Kombination von Arbeitsamtsmitteln und Sachkostenzuschüssen der Stadt haben die damals 3000 Arbeitslosen des bfb 1995 eine Netto-Wertschöpfung von 39,2 Millionen D-Mark (rund 20 Millionen Euro) erzielt, im Jahr 1996 von 52,5 Millionen Mark (rund 26 Millionen Euro). In den Jahren bis 1999 wuchs der Betrieb auf über 8000 Beschäftigte an, und die Ermittlung dieser Daten wurde in dieser Zeit vom damaligen Oberbürgermeister Hinrich Lehmann Grube (SPD) veranlasst. Er ließ die Zahlen jedoch nie veröffentlichen. Der Stadt sollte man nicht vorwerfen, sich an der Arbeitsmarktpolitik bereichert zu haben. Die Mitglieder des im Jahr 2002 tagenden Aktenuntersuchungsausschusses wollten die Unterlagen erst gar nicht zur Kenntnis nehmen.
Die Wertschöpfung wurde nicht nur mit der Pflege von Grünanlagen und öffentlichen Gebäuden, sondern auch mit der Sanierung von Stadtgütern und über 100 Wohnungen erzielt. Darüber hinaus hatte der bfb ein Anlagevermögen erwirtschaftet, dessen Wert intern mit rund 60 Millionen Mark (rund 30 Millionen Euro) beziffert wurde. Diese Betriebsmittel sollten als Grundstock für die weitere Beschäftigung von Leipziger Langzeitarbeitslosen dienen, doch geblieben ist davon nichts. „Das gesamte Anlagevermögen ist verschleudert worden“, heißt es in einer Strafanzeige vom 18. Oktober 2005, die ehemalige Mitarbeiter des bfb gestellt haben.
Die Stadt zögert, den früheren bfb-Chef erneut zum ersten Mann bei der Beschäftigungsförderung zu machen. Die Begründung: Der burschikose Landmann habe zwar als Chef des bfb schon über 8000 Arbeitslose in Lohn und Brot gebracht, doch die Bilanz dieser Aktion sei verheerend gewesen.
Gemeint sind damit vor allem die horrenden Abwicklungskosten des bfb, die das Rathaus mit rund 40 Millionen Euro beziffert – die sind allerdings ausschließlich nach von Hermannis Abgang aufgelaufen. Auf Nachfrage verweist er auf seinen Beamtenstatus und hält sich an den noch von Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) erlassenen Maulkorb.
Die ehemaligen Leitungsmitarbeiter werden mit ihren Strafanzeigen um so deutlicher. Die Verluste seien erst nach 1999 durch „Dilettantismus, Untreue und Betrug“ entstanden, heißt es darin. Vor allem sei im Jahr 2002 eine Umbuchung in Höhe von 19 Millionen Mark (rund 10 Millionen Euro) ins Wirtschaftsjahr 1999 vorgenommen worden. Dies wäre „Bilanzfälschung“ und wird gegenwärtig von der Staatsanwaltschaft untersucht. Die Anzeigenerstatter haben gleich ein Dutzend Zeugen angeboten, natürlich auch von Hermanni. Doch der schweigt und erklärt nur: „Bei aller Solidarität zu den ehemaligen Kollegen, die Strafanzeigen geben keinem Arbeitslosen auch nur ein Stück Brot.“
Der Kapitalstock des bfb – der vor allem aus den Immobilien, Werkstätten, Maschinen und Fahrzeugen bestand – ist mittlerweile vernichtet. „Rund 60 Millionen Mark sind vernichtet worden“, klagen die Mitarbeiter. Vereine, Firmen und Privatpersonen hätten sich an dem Vermögen schadlos gehalten, heißt es. So sollen die Stadtgüter Mölkau und Grassdorf im Wert von über zehn Millionen Euro für weniger als eine Million „verscherbelt“ worden sein.
Von Hermanni, sich selber als „Gesinnungstäter“ bezeichnend, weiß um die Situation in der Stadt und in den Fraktionen und will endlich eine sachgerechte öffentliche Diskussion der Misere in der Leipziger Arbeitsmarktpolitik. Vor allem deshalb kandidiert er als Sozialdezernent, heißt es. Wie immer provoziert er auch dabei und hat gleich in seine Bewerbung hineingeschrieben: Wer seinen Zielen nicht zustimme, mö- ge ihn bitte auch nicht wählen. „Öffentliche Arbeit“, so betont von Hermanni gebetsmühlenhaft, „ist unbegrenzt vorhanden.“
Mit diesen Äußerungen stößt er allerdings auf den Widerstand der Wirtschaft. „Niemand will ein erneutes wirtschaftliches Desaster erleben, wie es dieser Betrieb für Beschäftigungsförderung angerichtet hat“, warnt zum Beispiel Wolfgang Topf, Präsident der Industrie und Handelskammer zu Leipzig. Handwerkskammerchef Joachim Dirschka geht sogar noch einen Schritt weiter: Hermannis Modell bewege sich auf einem Niveau vergleichbar dem des utopischen Sozialismus, „ohne die Frage zu stellen, woher die Mittel der Beschäftigungsförderung kommen, die aufgewendet werden müssen. Der gesellschaftliche Grundtenor der Senkung von Sozialabgaben wird durch diesen Ansatz konterkariert.“
Von Hermanni lässt dies nicht gelten. „Es ist illusorisch, darauf zu hoffen, dass die Arbeitslosigkeit in absehbarer Zeit deutlich reduziert werden kann“, warnt er und folgert: „Die Großstädte müssen sich auf die Kommunalisierung der Langzeitarbeitslosen vorbereiten.“ Im Klartext: Leipzig verschläft gerade seine letzte Chance, mit Mitteln des Bundes eine eigene Infrastruktur aufzubauen. Die Kosten für sein Stiftungsmodell seien minimal und gemessen am Nutzen völlig vertretbar. Die Arbeitsmarktpolitik müsse endlich auf die Schaffung von Mehrwert und nicht mehr auf die Verwaltung des Mangels ausgerichtet werden. „Die private Wirtschaft muss sich darauf einstellen, dass nichts mehr so bleiben wird wie es ist“, sagt er. Denn die Sozialausgaben steigen weiter, und die seien nunmal vorrangig zu bedienen. „Viele Kommunen werden bald deutlich weniger oder gar keine Aufträge mehr vergeben können“, meint von Hermanni. So gesehen werde sein Modell sogar mehr Arbeit für die örtlichen Handwerksfirmen generieren – weil reine Facharbeiten weiter an die örtlichen Handwerksfirmen gehen würden. „Ohne diese Aufträge haben diese Firmen bald noch weniger zu tun“, prophezeit er.