Sächsische Zeitung vom 05. Juli 2002


„Wie Phönix aus der Asche“


Matthias von Hermanni war der Star am zweiten Arbeitsmarkt in Leipzig – seit Monaten steht er wegen Verdachts auf Betrug und Untreue vor Gericht – möglicherweise zu Unrecht, jedenfalls sieht er sich nun als Opfer der Justiz.
Von Thomas Schade

Im Saal 236 des Leipziger Landgerichts führt an diesem Vormittag vor allem einer das Wort: der Hauptangeklagte – Matthias von Hermanni, einst Herr des größten ABM-Unternehmens der Republik. Von den sozial Schwachen gerühmter und von Handwerkern geschmähter Star auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Unterm Sachsen-Wappen fragt der Vorsitzende Richter Karsten Nickel fast ehrfürchtig, ob der gebürtige Hildesheimer zu einem der Anklagepunkte etwas erklären möchte. „Erklären kann ich viel“, poltert von Hermanni los, „aber wollen Sie das auch hören?“

Staatsanwältin Sabine Fleiner versucht, in dem brisanten Wirtschaftskrimi für die Anklage zu retten, was zu retten ist. Ihr Kollege Thomas Gast, ein junger ehrgeiziger Staatsanwalt, hat von Hermanni, suspendierter Chef des städtischen Betriebes für Beschäftigungsförderung (BfB), verbissen gejagt und schließlich wegen Betrug, Untreue und Bestechlichkeit in insgesamt 74 Fällen vor Gericht gebracht. Der 48-Jährige habe dabei mit einem alten Kumpel gekungelt. Der heißt Jürgen Sobiak und sitzt auf der Anklagebank in der zweiten Reihe. Von Hermanni habe für die BfB von Sobiak Baumaschinen zu überhöhten Preisen gemietet. Die Gewinne sollen beide geteilt haben. Außerdem hätten Sobiaks Baufirmen am Privathaus von Hermannis gearbeitet, ohne die Leistungen für rund 250 000 Euro zu berechnen. Um eine knappe Million Euro sei die Stadt insgesamt betrogen worden, glaubt die Staatsanwaltschaft.

Sozialhilfeempfänger in grünen Latzhosen


Die Verhaftung des Leitenden Verwaltungsdirektors von Hermanni im November 1999 sorgte für Aufsehen. Der Kommunalbeamte mit CDU-Parteibuch saß als Experte in hochkarätigen Gremien wie der Bonner Kommission „Arbeit für alle“ und suchte mit nach beschäftigungspolitischen Lösungen. Seine angeblichen Übeltaten fallen in jene Zeit Mitte der 90er Jahre, als in Leipzig einer dieser Lösungsversuche seinen Siegeszug nahm. So ratterten 1996 auf der ehemaligen GUS-Kaserne in Leipzig-Schönau heftig die Presslufthämmer. Eine große Brecheranlage knackte Ziegelsteine und Beton. Menschen, die sonst von der Sozialhilfe lebten, waren hier am Werk, beschäftigt bei der BfB. Im Gewerbegebiet Leipzig Nordost, seinerzeit eines der größten in Sachsen, passierte das Gleiche. Mehrere Hundert Menschen hatte der städtische Eigenbetrieb BfB zeitweise auf solchen Abrissbaustellen beschäftigt. Baumaschinen wurden dafür erst gemietet, später gekauft.

Fast gleichzeitig wuchsen im Dorf Hohenroda, rund 20 Kilometer außerhalb der Messestadt, gleich neben dem Friedhof ein kleines Landhotel und der neue Wohnsitz der von Hermannis. Die Familie zog nach Sachsen. Denn, was sich in Leipzig auf dem Arbeitsmarkt tat, stellte alles in den Schatten, was von Hermanni vorher als Chef eines ABM-Stützpunktes in Hannover erlebt hatte. 1998 standen bei ihm rund 8 500 Mitarbeiter in Lohn und Brot. Seine Hundertschaften in den grüne Latzhosen, zumeist langzeitarbeitslose Leipziger, erledigten nur öffentliche Arbeiten, wie er sagt. „Wir hatten fast alle arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger der Stadt in Arbeit.“ Von Hermanni avancierte „zum größten Arbeitgeber Sachsens“, wie er unbescheiden feststellt. „Unser Modell wollte mit all denen öffentliche Arbeit erledigen, die aus eigener Kraft keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.“ Dass Bundeskanzler Kohl dieses Leipziger Modell 1997 im Bundestag hervorhob, sei ein „politisches Signal“ gewesen, glaubt von Hermanni. Auch für die, denen gar nicht passte, was er trieb. Unter denen vermutet er auch einflussreiche Kräfte im sächsischen Wirtschaftsministerium. Dort hätten die Handwerker und Mittelständler geklagt, denen er angeblich mit seinen so genannten Gummistiefelbrigaden die Aufträge wegnahm. Wollten politisch einflussreiche Verfechter eines freien Arbeitsmarktes den Chef des sozialpolitisch orientierten kommunalen Großbetriebes zerstören? Dass sich böse Mächte gegen ihn verschworen haben, das wird von Hermanni wohl nie beweisen können.

Konspirative Hinweise und Hausdurchsuchungen


Belegt ist jedoch, dass das staatliche Rechnungsprüfungsamt Wurzen schon Anfang 1997 in ungewöhnlich konspirativer Weise anonymen Hinweisen auf BfB-Mauscheleien nachging und sogar verdeckte Nachforschungen in der städtischen Firma anstellte. „Hoch gestellte Persönlichkeiten“ seien hinter ihm her, habe ihm zudem ein Mitarbeiter des Rechungshofes gesteckt, sagt von Hermanni. Ausgerechnet aus der Ecke seines Geschäftspartners Jürgen Sobiak, dem die Steuerfahndung Hannover auf den Fersen war, kam Mitte 1998 eine Strafanzeige und später ein Ordner mit den belastenden Unterlagen, an denen sich die Ermittler festbissen. Nach Durchsuchungen, bei denen die Beamten Lkw-Ladungen an Akten beschlagnahmten, und einem vermeintlichen Geständnis von Ex-Kompagnon Jürgen Sobiak schneiderte Staatsanwalt Gast schließlich seine fast 80-seitige Anklage. Von Hermannis Unschuldsbeteuerungen blieben ebenso unbeachtet wie offensichtliche Ungereimtheit eines Schreibens, das mit „Hallo Jürgen ...“ beginnt und als Beweis für die kriminellen Abmachungen zwischen beiden Angeklagten gilt.

„Offenbar zusammenkopiert“, urteilt vergangene Woche ein Ermittlungsrichter etwas kleinlaut über das Dokument. Er steht als Zeuge in dem Fall vor Gericht. „Eine Fälschung“, poltert der Angeklagte von Hermanni los und bietet eine Lupe an: „Wollen Sie sich überzeugen?“ Richter Nickel schlichtet etwas wirsch. Mit dem seltsamen Beweis hatte er von Hermanni vor zweieinhalb Jahren für 22 Tage in die Untersuchungshaft gesteckt. Danach kam der prominente Beschuldigte gegen eine Kaution von 250 000 Mark frei. Das Geld sammelten Mitarbeiter. Mit 2 000 Mark erklärte sich selbst Ex-Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube solidarisch mit dem damals dringend Verdächtigen.

Seit Mitte März haben alle ihr Geld zurück. Richter Nickel hob den Haftbefehl endgültig auf. Die Beweisaufnahme hatte die Wirtschaftsstrafkammer zur „vorläufigen Überzeugung“ gebracht, dass es für Untreue und Betrug keinen dringenden Tatverdacht mehr gibt. Das Gericht kann weder Täuschung noch Schaden für die Kommune erkennen. Ankläger Gast verließ das Gericht voller Empörung, der Angeklagte mit Blumen seiner Mitarbeiter. Staatsanwalt Gast quittierte den derben Rückschlag postwendend und erklärte die ganze Kammer für befangen. Ohne Erfolg. Seither inszeniert sich von Hermanni noch siegessicherer als Justizopfer. Inzwischen werden gar die Jäger vor Gericht zu Gejagten. So findet sich der LKA-Ermittler Jens H. in seiner fünften Zeugenvernehmung im Kreuzverhör des Angeklagten wieder. Im LKA schüttelt man inzwischen mit dem Kopf, wie das Gericht es zulässt, dass von Hermanni den Ermittler regelrecht „auseinander nehmen“ darf. „So etwas hat es noch nicht gegeben“, sagt ein Spitzenbeamter. Der Fall soll intern ausgewertet werden, um die Kollegen für solche Fälle zu wappnen.

Ein wackliges Geständnis könnte kippen

Für Norbert Röger, den Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft, ist der Fall noch längst nicht verloren. „Blanker Unfug“ seien von Hermannis Strafanzeigen gegen Staatsanwalt Gast. „Absoluter Quatsch“ sei seine Verschwörungstheorie. Der suspendierte BfB-Chef sieht sich unschuldig verfolgt und wirft dem Ankläger Straftaten im Amt vor. Auf seiner Internetseite (www.vonhermanni.de) zeigt er sich auch optisch im Fadenkreuz der Justiz und der Politik. Bis Jahresende, so glaubt Röger, werde die Beweisaufnahme noch dauern. Doch mittlerweile bröckelt auch der letzte Vorwurf: Bestechlichkeit. Denn überraschend offenbarte der Mitangeklagte Sobiak: Nur unter dem Eindruck seiner Odyssee durch ostdeutsche Gefängnisse habe er 1999 gesagt, was der Staatsanwalt hören wollte, um schnell frei zu kommen. Sobiak-Verteidiger Helmut Hartung vermerkte damals: Fordernd, wie „ein kleiner Napoleon“, sei Thomas Gast aufgetreten. Und der Ermittlungsrichter bestätigt, dass die Umstände für Sobiaks Entlassung „wirklich außergewöhnlich“ gewesen seien. Nur Staatsanwalt Gast schildert als Zeuge alles etwas anders. Doch er könnte Pech haben:Kein Ermittlungsrichter hat Sobiaks Geständnis je gehört. Widerruft er es, hat es kaum Bestand. Das könnte das Zünglein an der Waage sein. Vielleicht recherchieren die Ermittler deshalb heftig weiter gegen von Hermanni. Von Hermanni höhnt inzwischen: „Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.“ Schon zu Beginn des Prozesses hatte er angekündigt, er werde wie „Phönix aus der Asche“ aufsteigen und vor Gericht die besiegen, die ihn vernichten wollen. Fast vernichtet sind inzwischen seine grünen BfB-Regimenter. Noch etwa 1 300 Mitarbeiter habe die städtische Firma, sagt einer der Geschäftsführer. Dennoch gebe die Stadt gleich viel aus für Beschäftigungsförderung. Nur verteilt würden die Millionen nun anders.