2. Plädoyer von RA Meschkat vom 17. Dezember 2002


ANDREAS MESCHKAT
RECHTSANWALT UND FACHANWALT FÜR STRAFRECHT
RA MESCHKAT ARNDTSTR. 39 D-04275 LEIPZIG


IHR ZEICHEN: MEIN ZEICHEN: DATUM:
11 KLs 900 Js 56860/97 0055/00 17.12.2002


Strafverfahren gegen Matthias von Hermanni u.a.

2. Plädoyer vom 17.12.2002

Hohes Gericht , verehrte Anwesende!


Es ist in langen Verfahren nichts ungewöhnliches, wenn nach den Schlussvorträgen der Verteidigung erneut in die Beweisaufnahme eingetreten wird und nach Beweiserhebung erneut die Schlussvorträge gehalten werden.

Ungewöhnlich ist jedoch, dass am 26.11.2002 vier Verteidiger ab 9 Uhr plädierten, dass Gericht nach dem letzten Vortrag des Kollegen Auerswald um 14.40 Uhr die Sitzung unterbrach und um 15 Uhr erschien, um den richterlichen Hinweis zur Finlay 310B
zu erteilen.

Hohes Gericht, dieser Hinweis lag mit großer Wahrscheinlichkeit in schriftlicher Form bereits vor den Schlussvorträgen um 9 Uhr vor. Denn die gehaltenen Schlussvorträge haben keinen Anlass gegeben, zu der im Hinweis enthaltenen Begründung zu gelangen oder einen veränderten Gesichtspunkt zu sehen.

Sollte das Gericht nach diesem langen Prozess tatsächlich etwas übersehen haben, was innerhalb von 20 Minuten zu einer neuen oder anderen Bewertung geführt haben soll? Ich denke nein.

Daher ist es meine Aufgabe als Verteidiger, den rechtlichen Hinweis ernst zu nehmen und zu reagieren in Form eines oder mehrerer
Beweisanträge. Ich möchte daran erinnern, dass die Verteidiger des Angeklagten von Hermanni Ihre Schlussvorträge ohne Hilfsbeweisanträge gehalten haben, im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft. Wir haben dies nicht als notwendig erachtet, weil wir nach dem Verlauf der Hauptverhandlung keine weitere Beweiserhebung für notwendig erachtet haben, denn im Ergebnis ist Matthias von Hermanni unter allen tatsächlichen materiell-rechtlichen und unter prozessualen Gesichtspunkten von den Vorwürfen der abgeänderten Anklage freizusprechen.

Der rechtliche Hinweis und der Zeitpunkt der Mitteilung, der zu einer neuen Beweisaufnahme führte, hat bei der Verteidigung und bei Herrn von Hermanni ein Misstrauen erweckt, das seit Aufdeckung der Fehler der Ermittlungshandlungen eigentlich nur gegenüber der Staatsanwaltschaft bestanden hat. Sollte das Gericht jetzt tatsächlich nach
55 Hauptverhandlungstagen den verzweifelten Versuchen der Staatsanwaltschaft nachgeben wollen und auf der weißen Weste des Angeklagten ein paar kleine schwarze Punkte sehen, nach dem Motto, wir konnten ihn leider im wesentlichen nicht verurteilen, aber ganz unschuldig soll er nicht davon kommen, es muss etwas hängen bleiben,
wie auch immer?


Hohes Gericht, ich appelliere an Sie, an die Berufsrichter und die Schöffen, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, nur weil der Justiz in den letzten vier Jahren offenbar - um es verharmlosend auszudrücken - Fehler unterlaufen sind, und man sich schwer tut, diese auch offen zuzugeben.

Gerade Sie, verehrte Schöffen, sind der Justiz weniger, d.h. zeitmäßig
wie beruflich, verpflichtet und nicht abhängig von den Zwängen des Systems. Nutzen Sie bitte bei der Bewertung der Beweisaufnahme diese
größere Unabhängigkeit. Diese These soll kein Misstrauen gegenüber den beteiligten Berufsrichtern darstellen, aber es ist nun mal Fakt, dass
die Berufsrichter - und ich denke insbesondere an Frau Richterin Schumann als Proberichterin - der Justiz beruflich länger zur Verfügung stehen müssen als Sie, verehrte Schöffen.

Und ich hoffe, dass Sie das lange Verfahren, was hinter uns allen liegt, nicht davon abschreckt, auch zukünftig als Schöffen in der Justiz zu dienen und eine wichtige Aufgabe wahrnehmen: Nämlich die Juristen bei der Bewertung von Lebenssachverhalten zu kontrollieren. Lebensfremde Betrachtungsweisen wirtschaftlicher Vorgänge haben wir von der Staatsanwaltschaft hier genügend vernommen, immer mit dem Ziel, strafrechtliche Relevanz tatsächlichen Geschehens zu behaupten.

Merkwürdig nur, dass alle Beteiligten, ob auf Seiten der Stadt Leipzig, der GBG und WEP, des Rechnungsprüfungsamtes und des RP, bekundet haben, dass zu keinem Zeitpunkt ein Schaden entstanden sei oder eine Gefährdung des zu betreuenden Vermögens durch Handlungen des von Herrmanni zu befürchten war. Warum? Weil auch sie getäuscht wurden?
Nein, weil Sie im Zeitraum 1993 bis 1996 gemeinsam zugunsten der Stadt Leipzig ein geniales wirtschaftliches System entwickelt hatten, das das Vermögen der Stadt Leipzig mehrte. Und diese Personen, die damals daran beteiligt waren, verfügen über größere Sachkunde als die hier befassten Organe der Justiz oder ein "Sachverständiger" der KPMG, der noch nie einen Betonbrecher gesehen hat.

Aber viel wichtiger ist, dass die damals beteiligten Zeugen und ihre Institutionen informiert waren über die Vorgänge und ein eigenes Bewertungsrecht dieser Vorgänge haben. Was haben Herr Beigeordneter
Müller, Herr Beigeordneter Dr. Böckenförde oder Herr Geschäftsführer Dr. Koppe hier mehrfach bekundet?

Sollte die obskure Annahme der Staatsanwaltschaft stimmen, man hätte noch billiger als billig arbeiten müssen und sämtliche Erkundigungsmöglichkeiten ausnützen müssen, um Maschinenpreise zu ermitteln, so spiegelt dies nicht nur Unkenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge wider, sondern auch Unkenntnis der Tatbestände des
§ 266 StGB a.F. Ich erinnere nochmals an mein Beispiel aus dem Plädoyer vom 26.11.2002:

Wenn der Geschäftsführer einer GmbH das Betriebsauto bei BP betankt,
obwohl der Liter Benzin bei ARAL 1 cent aktuell weniger kostet, und er sich hierüber nicht ausreichend kundig gemacht hat, gefährdet er zuvor das Vermögen der GmbH und beim Bezahlen der Rechnung tritt auch noch der Vermögensschaden ein. Millionen Ermittlungsverfahren müssen jetzt konsequent eingeleitet werden, wenn die Theorie der Staatsanwaltschaft Leipzig stimmen würde.

Oder müssen sämtliche Vorstände größerer Aktiengesellschaften mit Anklagen rechnen, weil die Controllingabteilung oder der Einkauf oder das Beschaffungswesen zu einem späteren Zeitpunkt feststellt, dass ein
Zulieferer A günstiger war als Zulieferer B, man also zukünftig mit Zulieferer A Millionen einsparen kann, wenn der Vertrag mit Zulieferer B ausläuft? Merken Sie, Hohes Gericht, dass die Theorie bei Vorgängen im Wenige-Cent-Bereich wie im Millionen-Euro-Bereich nicht funktionieren kann?

Und was ist mit dem Vorsatz, der ja zumindest in der Eventualform
vorliegen muss? Hat eine Beweiserhebung in diesem Verfahren ergeben,
dass Matthias von Herrmanni billigend in Kauf genommen hätte, das Vermögen der Stadt zu gefährden oder zu mindern?
Gibt es für diesen subjektiven Tatbestand, der notwendigerweise zu berücksichtigen ist, eine Zeugenaussage , eine Einlassung meines Mandanten oder einen schlüssigen erhobenen Beweis? Oder setzt man sich darüber hinweg, in dem man es schlicht unterstellt oder missachtet?
Hohes Gericht, das angebliche Motiv "Haus" des Angeklagten und irgendwelche unzulässigen Verrechnungen, Aufrechnungen oder erlassenen Forderungen zwischen Herrn Sobiak und Herrn von Hermanni, möglichst noch in Form von "halbehalbe" aus Mieteinnahmen, sind durch die Beweisaufnahme widerlegt.

Und selbst wenn an irgendeiner Stelle Zweifel bestehen sollten:
Diese hätten entweder durch eine weitere Beweisaufnahme aufgeklärt werden müssen, soweit notwendig, oder aber das Gericht muss einen wichtigen Grundsatz anwenden:

Im Zweifel für den Angeklagten

Die Staatsanwaltschaft hat diesen Grundsatz offenbar wie auch Ihre Pflicht, entlastend gemäß § 160 II StPO zu ermitteln, lange vergessen.

Es obliegt dem Gericht, diesen wichtigen rechtstaatlichen Grundsatz anzuwenden. Wenn ich dies hier so breit auswalze, obwohl nach meiner Ansicht keine Zweifel an der Unschuld meines Mandanten bestehen,
so liegt es an dem Inhalt des richterlichen Hinweises und dem Zeitpunkt seiner Erteilung. Denn ich kann nicht ausschließen, dass in einzelnen kleinen Punkten Zweifel bei dem einen oder anderen Richter bestehen,
die zu diesen kleinen schwarzen Flecken auf der großen weißen Weste
führen sollen. Zweifel führen aber im Strafprozess zu einem Freispruch,
nicht zu kleinen schwarzen Flecken.


Wo wir gerade über Zweifel reden:

Die Einvernahme der Zeugen Quellmalz und Balz durch das Gericht und den Staatsanwalt am 10.12.2002 war nach meiner Ansicht erkennbar dadurch gekennzeichnet, herauszubekommen, ob Zweifel an deren Glaubwürdigkeit besteht. Hohes Gericht, ich hätte mir gewünscht, wenn diese intensiven Befragungsmaßstäbe auch beispielsweise beim Zeugen KHK Hochberg zu den Ermittlungshandlungen des LKA und der Staatsanwaltschaft in dessen Vernehmungen Anwendung gefunden hätten. Der Zeuge KHK Hochberg, immerhin mit der Vernehmungstechnik und den rechtlichen Grundlagen vertraut, hat dutzendfach Fragen, die mit ja oder nein zu beantworten gewesen wären,
mit dem Satz "Dies ist mir nicht erinnerlich" beantwortet.

Aber warum dieses Misstrauen? Weil es untergebene Vasallen des ehemaligen bfb-Bosses waren? Weil er es wagt, zur Entkräftung des Vorwurfes, er habe sich nicht bei der Preisermittlung der Finlay 310B
ordnungsgemäß und damit vermögensgefährdend verhalten, nunmehr
die Personen als Zeugen benannt, die den Auslöser für die Anschaffung gaben - so Herr Quellmalz - und die später die Anschaffung und Preisermittlung vornahmen - so Herr Balz -, wobei natürlich nicht vergessen werden darf die Rolle der Beschaffungsabteilung des bfb.

Meschkat
Fachanwalt für Strafrecht